Von Edgar Rabe
MARBECK/BREMEN.
Nach mehr als 160 Stunden Programmierarbeit, rund 220 Stunden Fräsen und dem Zusammenbau von 131 Einzelteilen ist er nun nahezu komplett. Nur die hintere „Stoßstange“ fehlt noch am Aufbau für einen Oldtimer, den es so in dieser Art noch nie gab. Aber hätte geben können.
Der Bremer Fahrzeugtechniker und Oldtimer-Experte Udo Fink will ein individuell gefertigtes Fahrzeug schaffen, wie es in den 1930er Jahren von gut betuchten Leuten über die Straßen der Weltmetropolen hätte gelenkt werden können. Seit mehr als drei Jahrzehnten kümmert sich Fink um ältere und meist extravagante Autos. Vieles macht er selbst, doch bei seinem aktuellen Projekt für einen „Fantasie-Roadster“ braucht er Hilfe. Und die fand der 52-Jährige in Marbeck.
„Herr Fink hatte in Bremen mehrere Betriebe gefragt, ob sie einen hölzernen Aufbau mit Fünf-Achs-Frästechnik fertigen können“, erklärt Thomas Cluse (54), Inhaber der gleichnamigen Tischlerei und Experte für die kompliziertesten CNC-Fräsungen. Die Bremer Holz-Kollegen hatten aber abgewunken und Fink geraten, es beim Marbecker Betrieb zu versuchen. So landete der Auftrag an der Engelradingstraße.
Das Projekt ist ein internationales: Aus Südafrika erhielt Cluse einen 3-D-Plan, wie der Aufbau aussehen soll. Mittlerweile hat Thomas Cluse in Gemeinschaftsarbeit mit seinem Sohn Niklas (23) den Aufbau nahezu komplett fertig.
Vor einigen Tagen ist das Chassis geliefert worden, das hatte Udo Fink in Portugal aufgestöbert. Demnächst wird der Motorblock in Finks Firma montiert. Der „Marmon-Alumininium-Block“, Baujahr 1931, mit acht Litern Hubraum, 16 Zylindern und einer Leistung von 200 PS stammt aus den USA. Spannend wurde es am Dienstag bei der Anprobe: „Wir haben den Aufbau auf den Rahmen gesetzt, und er passte hundertprozentig“, freute sich Cluse genau wie Fink, dass die Maßarbeit ihrem Namen auf den Millimeter genau gerecht wurde.
„Ich habe mich für milde Esche entschieden. Eschenholz lässt sich gut fräsen.“
Tischlermeister Thomas Cluse
Damit die 131 Einzelteile gemäß der 3-D-Vorgabe passgenau zu einer Einheit zusammengebaut werden konnten, musste Niklas Cluse stundenlang die Fünf-Achs-Fräser programmieren und programmieren und programmieren. „Das macht mir richtig Spaß“, betont der junge Tischler, der seit drei Jahren in der Firma ist und sich zurzeit in der Meisterschulung befindet.
Für Vater Thomas war der Auftrag, den Aufbau für den Roadster zu fertigen, gleichermaßen spannend wie Respekt einflößend. Hatte er ein solches Konstrukt zuvor auch noch nicht bearbeitet. Gewagt – getan! „Ich habe mich für milde Esche entschieden. Eschenholz lässt sich gut fräsen, und es weist auch wenig Spannungen auf beim Trocknen und beim Bearbeiten“, so der Firmenchef. Die meisten der 131 Einzelteile haben eine sehr komplexe Form, sind „überblattet“ zusammengefügt (unterschiedlich dicke Materialstärken an Verbindungsstellen) und sie sind an vielen Punkten zusätzlich mit Dübeln verbunden.
Fast alle Teile sind – wie der Fachmann erklärt – „verzogen“, „so dass man, wenn man eine Seite gefräst hat, eine Schablone für die Fünf-Achs-Maschine bauen und dann dieses Teil von der Gegenseite fräsen musste“. Und das hat vorzüglich geklappt wie der Fingertest beweist. Kaum ein Übergang ist zu spüren. Präzisionsarbeit.
Das so in Marbeck entstandene Karosserie-Trägergerüst für das „Fantasie-Gefährt“ ist schon ein echter Hingucker – allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, wenn Karosseriebauer damit beginnen werden, den nach oben offenen Aufbau mit Blech zu ummanteln. Dann wird von der komplizierten Konstruktion made in Marbeck nichts mehr zu sehen sein. Da werden Vater und Sohn Cluse in Marbeck und Fahrzeugeigner Fink in Bremen zum Foto oder Video greifen müssen, um das formschöne Eschenholz-Puzzle noch einmal betrachten zu können.
Und bis der Roadster das erste Mal über die Straße cruisen wird, sollten noch etliche Monate vergehen, wie Udo Fink bestätigt. Vieles sei noch unklar, nicht endgültig entschieden – auch die spätere Farbe des Autos stehe noch nicht fest, so Fink. Fest steht aber: Der Aufbau des Wagens unter dem Blechkleid kommt eschefarben daher.
(Quelle: Dieser Artikel wurde am 24. Oktober 2020 in der Borkener Zeitung Ausgabe Nr. 250 veröffentlicht)
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